Analysen, Interpretationen und Perspektiven (1)
Das Überleben von Organisationen hängt von ihrer Veränderungsfähigkeit ab. In einem sich kontinuierlich wandelnden Wettbewerbsumfeld entstehen laufend Optimierungsmöglichkeiten, um entweder aktuelle Problembereiche zu identifizieren und Weiterentwicklungsimpulse zu setzen oder sich proaktiv auf mögliche Zunkunftsentwicklungen vorzubereiten und Chancen frühzeitig erkennen und ergreifen zu können. Punktuell ist ein Blick von außen hilfreich, um Defizite oder Entwicklungsoptionen klarer zu sehen. In diesem Beitrag stellen wir die Konzepte des Scientific Consulting (SciCon) und der Scientific Investigation (SciIn) vor. Es baut auf einem abduktiven Vorgehen zur Organisationsanalyse auf. Wissenschaftliche Konzepte helfen die Druckpunkte der Organisation zu erkennen und zu erklären und daraus tragfähige Weiterentwicklungsimpulse für Organisationen abzuleiten.
Scientific Consulting und Scientific Investigation: Organisationsanalysen für Forschung und Praxis
Die Veränderungsfähigkeit einer Organisation kann daraus resultieren, dass intern ein passendes Ausmaß an Analysefähigkeit und an Ideengenerierung für Weiterentwicklungsimpulse vorhanden ist. Sie kann aber auch davon abhängen, ob die Organisation in der Lage ist, hilfreiche Impulse von außen aufzunehmen, wodurch Schwachstellen oder Entwicklungsoptionen schneller entdeckt und Lösungen umgesetzt werden können. In einer perfekten Welt mit allumfassendem Wissen wären solche Einsichten EigentümerInnen, Führungskräften und MitarbeiterInnen schnell und von ausgezeichneter Qualität möglich. Leider – oder zum Glück – ist unsere Welt komplex, mehrdeutig, dynamisch und unsicher. Kognitive, kulturelle und strukturelle Barrieren verhindern ein einfaches Erfassen der Chancen und Gefahren in der externen Umwelt bzw. der Stärken und Schwächen der eigenen Organisation. Blinde Flecken sind weit verbreitet. Außenstehende können diese blinden Flecken zum Gegenstand der Analyse und der Gewinnung von Weiterentwicklungsoptionen machen.
Mit unseren Konzepten „Scientific Consulting” (SciCon) und „Scientific Investigation“ (SciIn) präsentieren wir einen Zugang der Organisationsanalyse zur Gewinnung von Weiterentwicklungsoptionen für Organisationen und Führungskräfte. Die Entwicklung der Vorgehensmodelle erfolgte durch Aufarbeitung der Erfahrungen aus verschiedensten Forschungs- und Beratungsprojekten des Instituts- und Autorenteams. Dabei werden strukturiert empirische Methoden und theoretische Konzepte zur Organisationsanalyse genutzt, um über die wissenschaftlich fundierte Erklärung von Phänomenen (Sachverhalten) nachhaltige Weiterentwicklungsoptionen abzuleiten. Während Scientific Investigation stärker im Forschungsmodus verbleibt (z.B. Evaluierungen von Human Resource Architekturen, Führungskräfte-Akademien oder Qualitäts- und Sicherheitsinitiativen) und mit der Rückspiegelung der Erkenntnisse endet geht Scientific Consulting weiter in die Planung und Umsetzung der Veränderungen, die sich aus den Analysen ergeben (z.B. strategische Identitätsentwicklung im systemischen Beratungsmodus, Geschäftsprozessoptimierung, Teamentwicklung, Führungskräftetrainings).
In diesem Beitrag ergründen wir die tiefliegenden Triebkräfte der Entscheidungsmuster und der Eigendynamiken in Organisationen. Indem wir diese sichtbar machen und passende Veränderungsarchitekturen kreieren, um sie in der Organisation zu diskutieren, schaffen wir die Voraussetzungen für passende Entwicklungsschritte, die durch die eingebundenen Betroffenen umgesetzt werden können. Wir erweitern daher für Projektpartner das Problembewusstsein und vergrößern den Lösungsraum.
Um diese Vorgehensweise zu verstehen, ist es unabdingbar, vorab unser Erkenntnisinteresse (im Sinne des interpretativ-konstruktivistischen Paradigmas), unser Organisationsverständnis (als komplexes soziales System) und unser Rollenbild bzw. unsere Haltung (mit forschendem Habitus und Neugierde) im Forschungs- und Veränderungsprozess (mit einer abduktiven Logik) zu definieren.
Grundhaltung der Scientific Consulting und Scientific Investigation-Ansätze
Das individuelle Bild von Organisationen beeinflusst Art und Form der Durchführung der Analyse. Damit hat auch unser Grundverständnis von Organisationen einen direkten Einfluss auf unsere Vorgehensweise, die darauf abzielt eine Organisation als System in seiner Komplexität zu verstehen. Die unterschiedlichen Bilder lassen sich durch unterschiedliche wissenschaftstheoretische Zugänge erklären. Organisations- und managementtheoretische Ansätze folgen (vereinfacht gesagt) zwei grundsätzlich unterschiedlichen Paradigmen: dem funktionalistisch-positivistischen (oft auch als “klassisches” Organisationsverständnis bezeichnet) und dem interpretativ-konstruktivistischen.(2)
Das interpretativ-konstruktivistische Paradigma spiegelt unsere Annäherung an die Wirklichkeit wider. Es geht im Gegensatz zum funktionalistisch-positivistischen Paradigma nicht davon aus, dass es eine objektive, richtige Wahrheit und Realität gibt, sondern, dass Wirklichkeit immer konstruiert ist. Es gibt gangbare und sinnvolle beziehungsweise nützliche, anstatt lediglich richtiger und falscher Lösungen.(3) Wir gehen zudem davon aus, dass Organisationen keine Trivialmaschinen sind, die vollständig planbar, berechenbar und stabil sind. Im Gegenteil, unser Organisationsverständnis beruht auf der Annahme, dass Organisationen komplexe soziale Systeme sind, die beschränkt gestaltbar, vergangenheitsabhängig, selbstgesteuert und autonom sind.(4) Unser Rollenverständnis ist eng verknüpft mit unserer Tätigkeit an der Universität. Unserem Erkenntnisinteresse liegt ein forschender Habitus(5) zugrunde. Das bedeutet, dass uns vor allem anderen die Neugierde treibt, mehr zu erfahren und Überraschendes zu entdecken. Durch die Anbindung an das Forschungsgeschehen entspricht diese Offenheit für Neues unserer wissenschaftlichen Profession (im Gegensatz zu außeruniversitären BeraterInnen).
Unser Ansatz greift auf die abduktive Logik des Erkenntnisgewinns zurück, wodurch wir über ein rein deduktives oder induktives Vorgehen hinausgehen.(6) Beratungsansätze(7) , die stärker deduktiv orientiert sind, versuchen „Good Practices“ oder „Erfolgsmodelle“, die meistens in einem bestimmten Kontext identifiziert werden, als allgemeingültige Lösung zu verkaufen. Aufgrund der Komplexität und Heterogenität von Organisationen funktioniert dieses Vorgehen – im Sinne einer klassischen „Fachberatung“ – jedoch nicht immer. Im Rahmen des induktiven Vorgehensmodells – auf das vor allem die klassische Organisationsentwicklung zurückgreift – werden die konkreten Erfahrungen der Beteiligten für die Analyse und für die Generierung von allgemeinen Aussagen genutzt. Die Qualität der Ergebnisse hängt dabei stark vom Erfahrungshintergrund der Beteiligten und der Art und Weise ihrer Einbindung in den Prozess ab. Was immer sie einbringen können und wieweit Partizipation erlaubt wird, bestimmt, was im Endeffekt an Ergebnis erreichbar wird. Ein abduktives Vorgehen – welches für die systemische Beratung typisch ist – nutzt hingegen das breite Repertoire an Theorien und Konzepten aus der Managementforschung sowie aus ihren Grundlagendisziplinen wie der Psychologie, Soziologie oder Volkswirtschaftslehre, um adäquate Erklärungen für auftretende Phänomene situativ zu finden. Der Fokus liegt dabei auf dem Ergründen von system- bzw. unternehmensspezifischen Mustern, indem erklärende Hypothesen zu beobachteten Phänomenen gebildet werden. Ziel ist dabei nicht die „richtigen“ Lösungen zu finden, sondern aus einem großen Angebot an Handlungsmöglichkeiten jene auszuwählen, die die Ursache des Problems so passend wie möglich lösen bzw. die das Ergreifen von neuen Optionen möglichst gut unterstützen.
Zusammenfassend (und einleitend zugleich) zeichnen sich unsere Ansätze zu Scientific Consulting und Scientific Investigation durch folgende Merkmale aus: Wir erstellen eine theoriegeleitete, abduktive Analyse mit dem Einsatz von qualitativ-interpretativen wissenschaftlichen Methoden. Unser interaktives und im Modus der Co-Creation konzipiertes Vorgehen ist geleitet von echtem Erkenntnisinteresse (wissenschaftliche Neugierde). Wir bieten damit ein maßgeschneidertes, individuelles Analyse- und Beratungsformat für unsere Kooperationspartner.
Performance Core als Analyserahmen
Zur Analyse von Organisationen bzw. des Verhaltens in Organisationen greifen wir in Scientific Consulting und Scientific Investigation-Ansätzen auf strukturierende Konzepte und Modelle zurück. Mit dem Performance Core liegt ein generisches Konzept vor, das multidimensional das Leistungsverhalten von und in Organisationen erklärt (Abb. 1). Darin wird davon ausgegangen, dass individuelle, gruppenspezifische und organisationale Einflussfaktoren auf die Motivation von Führungskräften und MitarbeiterInnen wirken und diese zu einem bestimmten Leistungsverhalten bewegen. Im Bereich der Individuen prägen Persönlichkeitsmerkmale, Kognitionen und Entscheidungsheuristiken die individuellen Fähigkeiten, die grundsätzlich als Leistungspotenziale der Organisation zu Verfügung stehen. Inwieweit Individuen nun davon Gebrauch machen können, hängt vom Leistungsrahmen ab, der unmittelbar von der Arbeitsgruppe (d.h. vom Team) bzw. im weiteren Kontext von den organisationskulturellen Werten und sozialen Normen sowie von den formalen Regelungen in den Strukturen, Geschäftsprozessen oder Systemen (z.B. Karrieresystem, Weiterbildungssystem, Vergütungssystem) geprägt wird. Formale Regeln und soziale (informale) Normen brauchen immer Personen, die sie wahrnehmungs- und handlungswirksam machen. In den meisten Fällen trägt die Arbeitsgruppe mit der (formellen oder informellen) Führungskraft die zentralen organisationskulturellen Werte und Normen in sich und signalisiert dadurch den Gruppenmitgliedern welche Sichtweisen und welche Verhaltensweisen adäquat sind. Dadurch werden auch formelle Regeln interpretiert und wahrnehmungs- und handlungswirksam gemacht. Daraus resultieren die Motivationslagen, die mehr oder weniger dafür sorgen, dass das Leistungspotenzial der Individuen in ihren Rollen als Führungskräfte oder MitarbeiterIn in vollem Umfang tatsächlich genutzt werden. Mit der Beobachtung der organisationalen Leistung (z.B. entlang der typischen Kennzahlen) oder des individuellen Leistungsverhaltens (z.B. Engagement, Innovativität, Kritikfähigkeit) wird die Wirkung des Performance Core sichtbar.
Die reale und beobachtbare Leistung lässt sich mit der Strategie in Verbindung setzen. Damit fließt in den Analyserahmen ein, wie die Organisation das Umfeld beobachtet und welche Zuschreibungen über Stärken oder Schwächen bzw. über die eigenen organisationalen Kompetenzen vorhanden sind. Zudem wird ersichtlich, wie das Unternehmen die strategischen Ziele – formell über strategische Planungsprozesse oder informell durch das Handeln von EigentümerInnen oder GeschäftsführerInnen – über die Führungskräfte zu den MitarbeiterInnen bekommen und wie konsistent oder inkonsistent auf unteren hierarchischen Ebenen die Sicht auf das Umfeld oder die eigene Organisation ausgeprägt sind.
Der Performance Core bleibt nicht stabil. Vielmehr wird er durch die Entwicklung im Unternehmensumfeld geprägt und umgekehrt beeinflussen Veränderungen des Performance Core das Umfeld. Neue technologische Möglichkeiten, beispielsweise durch die fortschreitende Digitalisierung, hinterlassen Spuren im Performance Core. Sie wirken sich auf die Strategie aus, führen zu neuen technologischen Möglichkeiten auf Ebene der Geschäftsprozesse, lassen eine neue Subkultur dort entstehen, wo eine Projektgruppe eingesetzt wurde, um mittels neuer Technologien bestehende Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln und verändern die Fähigkeiten der MitarbeiterInnen durch Lernprozesse on- und off-the-job. Umgekehrt können aus dem Performance Core, beispielsweise aus der zuvor beschriebenen Projektgruppe, neue Geschäftsmodelle entstehen, die disruptiv das Unternehmensumfeld beeinflussen und bestehende Marktspielregeln außer Kraft setzen. Deshalb ist eine dynamische Perspektive in der Analyse der Organisation bzw. des organisationalen Leistungsverhaltens, das über den Performance Core sichtbar wird, essentiell. Denn die Gegenwart eines Unternehmens bzw. eines Unternehmensbereichs lässt sich nur über das Verstehen der entsprechenden Entwicklungsgeschichte begreifen.
Vorgehensmodell
Der idealtypische Ablauf des Scientific Consulting bzw. Scientific Investigation lässt sich im Allgemeinen in fünf Prozessphasen untergliedern und besteht aus (1) Auftragsklärung und Prozessplanung, (2) Datenerhebung und -auswertung, (3) Rückspiegelung, (4) Maßnahmenplanung und -durchführung, sowie (5) Reflexion (Abb. 2).
Den Ausgangspunkt bildet demnach stets eine umfassende Auftragsklärung.(8) Diese ist notwendig um Erwartungen abzuklären, das Vorgehen zu planen und das Projektteam mit passendem Personal zu besetzen. Nach der gemeinsamen Abklärung von Art, Umfang und Inhalt der Zusammenarbeit nutzt das Projektteam seine methodische Expertise um Daten entsprechend wissenschaftlicher Standards zu erheben und auszuwerten. Durch den Vergleich mit wissenschaftlichen Theorien werden daraus Erkenntnisse gewonnen welche anschließend an die Organisation zurückgespielt werden. Dadurch wird einerseits die Anschlussfähigkeit der gewonnenen Interpretationen überprüft und andererseits eine Ausgangsbasis für die Planung und Durchführung etwaiger anschließender Interventionen festgelegt. Der gesamte Prozess wird laufend von Reflexionsprozessen – innerhalb des Forschungs- und Beratungsteams sowie mit dem Kooperationsunternehmen – begleitet, wodurch kontinuierlich notwendige Adaptionen erkannt und die Nützlichkeit des Vorgehens gesichert wird.
Die generischen Phasen stellen keineswegs ein starres Korsett dar, das Auftraggeber und Auftragnehmer in einen vorgegebenen und unveränderlichen Prozessablauf zwingt. Vielmehr bietet es einen Anhaltspunkt, um während Auftragsklärung und Prozessplanung die allgemeine Ausrichtung und Fokussierung festzulegen. Wie linear oder zirkulär der Prozess im Detail abläuft, hängt vom jeweiligen Ansatz ab. Jedenfalls wird interaktiv und im Modus der Co-Creation in der Planung genügend Spielraum gelassen, um Entscheidungen und Handlungen an den späteren Prozessverlauf kontinuierlich anpassen zu können. Die Gewichtung der unterschiedlichen Phasen variiert demnach je nach Projekt, Auftragsart (Forschungsvorhaben vs. Beratungsauftrag) und Prozessphase.
Auftragsklärung & Prozessplanung: Eine umfassende Auftragsklärung bildet den Startpunkt der Zusammenarbeit zwischen Forschungsinstitut und Organisation. Diese ist notwendig, um die Erwartungen der Projektpartner abzuklären(9) und den inhaltlichen Fokus – und damit das adäquate methodische Vorgehen – festzulegen. Darüber hinaus dient sie der Abklärung von Projektziel, und -umfang, sowie der finanziellen Rahmenbedingungen. Die Projektplanung erfolgt sodann gemäß der Auftragsklärung.
Wir unterscheiden bei der Art der Zusammenarbeit zwischen zwei Ansätzen: Scientific Consulting und Scientific Investigation (Abb. 2). Was letztlich zur Anwendung kommt hängt vor allem von den Interessen der Kooperationspartner (AuftraggeberIn) ab. Steht in erster Linie ein Erkenntnisgewinn im Vordergrund, wird die Zusammenarbeit weitgehend dem Modell von Scientific Investigation folgen. Werden hingegen konkrete Vorschläge für Veränderungsmaßnahmen und Verhaltensänderungen angestrebt, so erfolgt die Zusammenarbeit im Rahmen des Scientific Consulting. Die ersten beiden Prozessschritte (Auftragsklärung sowie Datenerhebung & Auswertung) sind weitgehend gleich. Bei der Rückspiegelung im Scientific Investigation-Modus werden die Erkenntnisse nur rückgespiegelt. Im Scientific Consulting-Modus werden darüber hinaus konkrete Veränderungsschritte geplant und nachfolgend umgesetzt.
Auch hinsichtlich des Anlassfalls/Auftraggebers lässt sich eine Differenzierung vornehmen. Externe Auftraggeber sind nicht operativ in der zu beforschenden Organisation tätig; interne Auftraggeber sind dies. Durch Kopplung dieser Dimensionen lassen sich die Formen der Zusammenarbeit in einer 4-Felder Matrix abbilden (Abb. 3)(10). Scientific Investigation umfasst sowohl die Bearbeitung extern (z.B. von der Forschungsinstitution selbst) gestellter Forschungsfragen anhand organisationsspezifischer Daten, als auch die Erhebung eines für die Organisation intern interessanten Status-Quo (z.B. Evaluierung). Im Rahmen des Scientific Consulting-Ansatzes werden entweder Kontrollstudien von einer externen Instanz (z.B. Aufsichtsrat, (potenziell) neue EigentümerInnen, etc.) oder Auftragsstudien, d.h. Change Management-Projekte, vom Unternehmen (z.B. vom Top Management-Team) selbst in Auftrag gegeben. Bei beiden Formen des Scientific Consultings soll die Zusammenarbeit zu späteren Interventionen und konkreten Veränderungsmaßnahmen führen.
Beide Modelle – Scientific Investigation und Scientific Consulting – sind eng miteinander verbunden. Bezogen auf das Prozessmodell (Abb. 2) wird ersichtlich, dass jede Form mit Phase 1 der “Auftragsklärung und Prozessplanung” startet sowie durch kontinuierliche Reflexionsprozesse (Phase 5) begleitet wird. Unterschiede ergeben sich vor allem in Bezug auf die Phasen 2-4. Bei Scientific Investigation liegt der Schwerpunkt auf der Datenerhebung und Auswertung (Phase 2) und wird mit einer kurzen Rückspiegelung der Analyseergebnisse und vereinzelten Vorschlägen zu Veränderungsansätzen abgeschlossen. Bei Scientific Consulting werden ebenfalls Daten erhoben und ausgewertet, jedoch bildet eine lösungsfokussierte Rückspiegelung mit konkreten Vorschlägen einer Veränderungsarchitektur den Ausgangspunkt für nachfolgende Interventionen.
Obwohl Scientific Investigation modular um Scientific Consulting erweitert werden kann, ist es wichtig die Interessen und Erwartungen des Auftraggebers zu Beginn abzuklären, da diese die personellen und finanziellen Bedingungen bedingen. Scientific Investigation-Projekte dienen auch zur Einbindung von Studierenden im Rahmen von Lehrveranstaltungen und Graduierungsarbeiten (z.B. Bachelor- und Master-Arbeiten). Sie können vor allem in die Datenerhebung und Auswertung einbezogen werden, da sie die nötigen methodischen und theoretischen Fähigkeiten mitbringen. Dadurch kann der in der universitären Managementausbildung notwendige Theorie-PraxisBezug hergestellt werden. Liegt hingegen der Fokus des Projektes im Scientific Consulting besteht kaum eine Möglichkeit zur studentischen Einbindung. Denn für die Erstellung der Vorschläge und der Veränderungsarchitektur bedarf es einer theoretischen und empirisch fundierten Expertise sowie eines umfangreichen Erfahrungsschatzes, um die konkrete Situation des Unternehmens bzw. der öffentlichen Organisation adäquat einschätzen und die Rückspiegelung der Ergebnisse auch mikropolitisch anschlussfähig gestalten zu können.
Datenerhebung & Auswertung: „Jeder Beratungsprozeß sollte mit einer Analyse und Diagnose beginnen. Sie bereiten den Boden für Interventionen vor und sind für den Berater unerlässlich [..]“.(11) Scientific Investigation und Scientific Consulting legen besonderes Augenmerk auf die Analyse, da analytische Qualität die Grundlage für die Ergebnisqualität bildet. Die Verwendung empirischer Methoden bei der Datenerhebung und Datenauswertung sowie der abduktiven Logik zur Interpretation der Ergebnisse bildet dazu die Basis.
Unsere abduktive Vorgehensweise stellt sicher, dass Wahrnehmungs- und Entscheidungsmuster, die den beobachteten Handlungen zugrunde liegen für die Organisation und ihre Veränderungsbestrebungen zugänglich werden.(12) Theoretische Überlegungen bilden den Ausgangspunkt, werden entsprechend dem Erkenntnisinteresse operationalisiert und strukturieren die Beobachtungen.(13) Die getroffenen Annahmen müssen reflektiert werden, um nicht die Sicht auf Unerwartetes zu verstellen.(14) Die Ergebnisse der empirischen Datenerhebung müssen wiederum weitere theoretische Überlegungen in Gang setzen, um nicht im Beschreiben verhaften zu bleiben, sondern mögliche Erklärungsansätze zu finden. Dies gelingt nach Titscher, Meyer und Mayrhofer am besten, wenn das Analyse-Team über viele theoretische Annahmen Kenntnis hat, d.h. über eine vielfältige theoretisch-konzeptionelle Basis verfügt.(15) Je vielfältiger die möglichen Perspektiven sind, desto reichhaltiger sind die Erklärungsansätze und desto hilfreicher können die Rückmeldungen für Unternehmen sein. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Einsichten über Wahrnehmungs- und Handlungsmuster gewonnen werden, die andernfalls der Organisation nicht zugänglich wären.
Es geht daher im ersten Schritt gerade nicht darum, dem Unternehmen unmittelbare Empfehlungen zu geben, die aus der Theorie abgeleitet sind oder ihnen Good Practices zu vermitteln. Vielmehr werden Hintergründe erklärt, warum bestimmte Phänomene (z.B. im positiven Sinne hohe Motivation und Leistungsorientierung, erfolgreiche Neuerungsprojekte, hohe MitarbeiterInnenbindung, gute Leistungskennzahlen oder im negativen Sinne Paralysen, Konflikte, schlechte Leistungskennzahlen, Fluktuation, gescheiterte Veränderungsprozesse) auftreten. Wenn die Hintergründe und Zusammenhänge verstanden werden, dann ergibt sich im zweiten Schritt die Möglichkeit von den Erfolgsmustern zu profitieren oder Misserfolgsmuster nachhaltig (“an ihrer Wurzel”) zu bekämpfen. Die universitäre Einbettung garantiert ein breites fundiertes theoretisch-konzeptionelles Wissen, das die Grundlage für problemstellungsadäquate Erklärungsansätze darstellt. Gleichzeitig erfordert abduktives Denken, dass ForscherInnen und BeraterInnen neugierig und überraschungsbereit agieren.(16) Der forschende Habitus ist durch die universitäre Anbindung an die wissenschaftliche Community notwendigerweise gegeben. Dadurch wird das theoretisch-konzeptionelle Wissen am Stand der Forschung gehalten. Umgekehrt führt die Einbettung durch angewandte Forschung oder Scientific Consulting dazu, dass kontinuierlich Erfahrungswissen aus Unternehmen oder öffentlichen Organisationen gewonnen wird, die wiederum die wissenschaftliche Forschung auf Themen lenkt, die praxisrelevant sind.
Die Analyse des Scientific Consulting-Prozesses umfasst drei Subphasen (Abb. 4). Um ein tiefgreifendes Verständnis der Organisation zu bekommen, wird im ersten Schritt bei der Datenerhebung und Auswertung auf das gesamte wissenschaftliche Repertoire der empirischen Sozialforschung zurückgegriffen. Die Daten werden aus der Sphäre des Unternehmens selektiert und im Analyseteam analysiert. Vorteilhaft sind wissenschaftliche Methoden aufgrund ihrer Genauigkeit, intersubjektiven Nachvollziehbarkeit und ihres externen Blickwinkels. Bei der Auswertung wird anhand der Kodierung und Kategorisierung(17) ein Überblick über die verschiedensten Daten gewonnen. Besonders Methoden der Textanalyse, beispielsweise die objektive Hermeneutik für die Analyse von Tiefenstrukturen von Organisation(18) oder die Nutzung von qualitativen Inhaltsanalysen zur Mustererkennung auf der Oberflächenstruktur von Organisationen(19), dienen zur Identifizierung organisationaler Phänomene bzw. Sachverhalte. Mit Hilfe unterschiedlicher Methoden des Kategorisierens und Kodierens werden Interviews nach Themen sortiert und strukturiert. Die Kategorisierung orientiert sich inhaltlich an dem Beratungsanlass und nützlichen Theorien und Konzepten.(20) Ergänzend kann es hilfreich sein mit Diskursanalyse(21) unter Einbezug von Dokumenten aus der Organisation herauszuarbeiten, welche Rolle gewisse Themen oder Probleme in der Organisation spielen und wie diese kommuniziert werden. Für die Identifikation tiefer liegender Muster und Kulturthemen ziehen wir die Methode der Objektiven Hermeneutik(22) heran.
Unsere Analyse im Rahmen des Scientific Consulting geht weit über das Zusammentragen von Daten hinaus. Individuelle Perspektiven, Anschauungen und Meinungen werden als Ausgangspunkt genommen, um die dahinterliegenden organisationalen Muster erkennbar zu machen. Dank der objektiven Hermeneutik werden die auf der Tiefenstruktur liegenden organisationalen Werte und sozialen Normen zugänglich, die sich sonst völlig der Analyse entziehen würden. Analytisch wird quasi durch die Person auf der Oberfläche hindurchgeblickt, um die dahinterliegenden organisationskulturellen Muster zu verstehen, die mitverantwortlich für Wahrnehmungen und Handlungen auf der Oberfläche sind. Dadurch wird die Organisationsanalyse vorangetrieben und die Basis für deren Interpretation zur Erklärung gelegt.
Wir wählen einen integrativen Zugang der Datengenerierung mittels Interviews (z.B. ebenen- und bereichsübergreifend sowie unternehmensintern und -extern), Dokumenten (z.B. Unternehmensdokumente, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, Internetbeiträge) und Beobachtungen (z.B. Meetings, Interaktionen mit KundInnen, Arbeitsabläufe). Die Auswahl der GesprächspartnerInnen (im Sinne eines theoretischen Samplings) umfasst typischerweise die der Geschäftsführung, fallweise EigentümerIn, PersonalistInnen, NetzwerkpartnerInnen, LieferantInnen oder KundInnen und wird im weiteren Verlauf nach dem Kontrastprinzip organisiert (z.B. gute vs. durchschnittliche Teams, Filialen, Projekte, Bereiche) durchgeführt. Aufgrund der Kontraste werden die typischen Muster effektiver sichtbar. Dies betrifft sowohl Muster, die den Leistungsunterschied erklären aber auch Muster, die sich über die unterschiedlich leistungsfähigen Untersuchungseinheiten durchziehen und dadurch als Repräsentation der Unternehmenskultur verstanden werden können.
Im zweiten Schritt wird für die Erklärung versucht jene wissenschaftlichen Theorien und Konzepte zu finden, die das organisationale Phänomen bzw. den Sachverhalt möglichst gut erklären können. Hier kommt die abduktive Logik zur Anwendung denn die Daten werden unter Nutzung von Theorien und Konzepten interpretiert. Dadurch liegt es nicht in der Hand des Zufalls, was konkret jemandem (z.B. Befragte oder BeraterInnen) einfällt, um beispielsweise Leistungsunterschiede zu erklären. Vielmehr werden Theorien oder Konzepte herangezogen, die wissenschaftlich fundiert sind, um Erklärungen zu finden. Die Qualität wird durch die Kombination aus unterschiedlichen Methoden (Triangulation) im Zusammenspiel mit theoretischen bzw. konzeptionellen Erklärungsmustern gesichert. Dafür wird iterativ immer zwischen Datenerhebung, Interpretation und Erklärung gewechselt bis sich die Annahmen (Hypothesen) verfestigen.
Ergänzt wird die Analyse in einem dritten Schritt indem noch geprüft wird, wie plausibel die Erklärungen im Hinblick auf den Vergleich mit anderen Unternehmen bzw. anderen Unternehmensbereichen sind. Aus dem runden Bild aus wissenschaftlicher Analyse, theoretischer oder konzeptioneller Erklärung und erfahrungsbasierter Plausibilitätsprüfung ergeben sich Erkenntnisse, die zeigen durch welche Wahrnehmungs- und Entscheidungsmuster auf der Tiefenstruktur organisationale Phänomene bzw. Sachverhalte erzeugt werden, die auf der Oberfläche beobachtbar sind. Sobald die Erklärungen eine tragfähige Verbindung aus Tiefenstruktur und Oberflächenphänomen herstellen, können passende Handlungsoptionen abgeleitet werden, um Weiterentwicklungsimpulse für die Organisation zu gewinnen.(23)
Rückspiegelung: Im Sinne der reflexiven Sozialforschung(24) ist es bei der Scientific Investigation und bei Scientific Consulting Ziel, die Ergebnisse der Analyse an die ProjektpartnerInnen – in der Sphäre des Interaktionsraums zwischen UnternehmensvertreterInnen und dem Forschungs- bzw. Beratungsteam – zurückzuspielen. Dazu gibt es je nach Anlassfall, Ziel sowie Forschungs- und Beratungsprozess unterschiedliche Optionen, die sich nach dem Verhältnis aus Analyse und Umsetzung bzw. nach der Integration des Forschungs- und Beratungspartners richten.
Die integrative Zusammenschau der Ergebnisse wird für die Rückspiegelung oft über das bewährte Modell des Performance Core durchgeführt. Dadurch wird ein systematisches Adressieren der verschiedenen verhaltensbeeinflussenden Elemente auf individueller, Gruppen- und organisationaler Ebene gewährleistet und die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Ebenen werden sichtbar. Denn von der Strategie ausgehend, wo Fragen des Unternehmensumfeldes sowie des Entwicklungspfades der Organisation thematisiert werden können, über die Organisation (formal und informal) bis zu Teams und Subkulturen und der individuellen Ebene der einzelnen Organisationsmitglieder können die Einflussfaktoren auf Motivation und dadurch auf Leistungsverhalten sichtbar gemacht werden. Konkret richtet sich die Rückspiegelung beispielhaft auf folgende Punkte:
- Strategie: Umfeld, Technologien, Pfadentwicklung, (Kern-)Kompetenzen, Strategieentwicklungsprozess, Key Performance Indicators, Zielvereinbarungsprozesse etc.
- Organisation: Organisationsstruktur, Geschäftsprozesse, Human Resource Architektur (Bausteine der Human Resource Management Systeme von Auswahl, Integration, Vergütung/Arbeitseinsatz, Entwicklung bis Abbau), Kommunikationssystem, Organisationskultur etc.
- Team & Subkulturen: Leistungsnormen, Kohäsion, Vertrauen, Sinnstiftung, Rollen, Teamzusammensetzung, Sprache, Bezugsrahmen, Gruppenentwicklungsstadium, Subkulturen etc.
- Führungskräfte & MitarbeiterInnen: Persönlichkeit, Fachwissen, Erfahrungshintergrund, Entscheidungsheuristiken, Fähigkeiten (fachlich-methodisch, sozial, strategisch-konzeptionell) etc.
- Motivation: Wirkungsbeziehungen auf extrinsische (monetäre) und intrinsische (Commitment, Autonomie und Handlungsfähigkeit) Motivation
- Leistung: qualitative und quantitative Indikatoren